Sautner, Thomas
Die Älteste Roman
Belletristik

Wenn wir der Literatur selbstverständlich Kräfte zuschreiben, die weit in unser logisches, biologisches und historisches Bewusstsein hineinwirken, dann dürfen wir auch in der Medizin ab und zu Kräfte ins Spiel bringen, die über das Zell-logische Verhalten unseres Körpers hinausgehen. Thomas Sautner stellt in seinem Roman "Die Älteste" eine Frau mit magischen Kräften vor, die zumindest den Anhängern der medizinischen Alltagskultur den Mund offen stehen macht. Die Ich-Erzählerin Sophie hat ein erfolgreiches, Termin-dichtes Leben hinter sich, als ihr die Diagnose ausgehändigt wird: Kopftumor. Als die üblichen Therapien keinen Erfolg zeitigen, geht Sophie einem Gerücht nach. Im Waldviertel soll in einem Wohnwagen eine seltsame Alte leben, die ungewöhnliche Heilmethoden anwendet. Sophie deckt sich mit den üblichen Geschenken ein, wie man sie überall auf der Welt den Schamanen darbietet, Schnaps, Tabak und Kaffee, und lässt sich in die Nähe des Wohnwagens bringen. Voller Neugierde wartet sie auf die Alte, die dann lautlos aus dem Wald auftaucht. Die Waldfrau hat auf den ersten Blick seltsame Macken, die aber in Wirklichkeit Ausdruck einer abgeklärten Persönlichkeit sind. Als erstes muss Sophie das Handy abschalten und in einem Loch begraben, damit eine Ruhe ist von den schädlichen Einflüssen. Als nächstes kommt die wesentliche Erkenntnis zur Anwendung: Der Krebs ist kein Fremdkörper sondern authentischer Teil der Erkrankten. Als drittes schließlich lässt die Älteste zu, dass sie mit ihrem Namen angesprochen wird, Lisbeth. Lisbeth ist eine der letzten Jenischen, die ihre Kultur noch offen leben. Dem KZ ist sie knapp entkommen, ihre Nummer ist am Arm eintätowiert. "Mit Nachdenken kommt man der Wirklichkeit nicht näher", lautet ihr Credo. (100) Tatsächlich tritt bei Sophie so etwas wie Heilung ein, vielleicht ist es auch nur das Baden im Teich, das ständige Feuer Machen und das naturnahe Begraben der eigenen Fäkalien. Einmal gestattet Lisbeth den Gebrauch des Handys, und Sophie erfährt, dass ihr Vater gestorben ist. Als der Erzählerin bald danach offiziell ihre Heilung bestätigt wird, will sie sich noch einmal bei Lisbeth bedanken. Aber es stehen bereits ihre Angehörigen um den Wohnwagen, worin sie selbstbewusst gestorben ist. Ihr Enkel stellt sich vor, er wird das Erbe der Jenischen fortführen. Thomas Sautner beschreibt das Zusammentreffen von zwei medizinischen Kulturen auf nachvollziehbare Weise, wonach das Unwahrscheinliche genauso logisch ist wie das Wahrscheinliche. In dieser Heilungsgeschichte werden keine falschen Erwartungen geweckt sondern es wird erzählt, wie man sich die eigene Krankengeschichte selbst schreiben muss, will man mit der Krankheit in Kontakt treten. Und in der Hauptsache ist der Roman eine Würdigung der Kultur der Jenischen, wie sie in Tirol etwa unvergessen Romed Mungenast geschrieben hat. Helmuth Schönauer


Rezension


Dieses Medium ist zur Zeit ausgeliehen.

Personen: Sautner, Thomas

Interessenkreis: Jenische

Sautner, Thomas:
¬Die¬ Älteste : Roman / Thomas Sautner. - Wien : Picus-Verl., 2015. - 142 S.
ISBN 978-3-7117-2021-4 fest geb. : ca. Eur 16,90

Zugangsnummer: 0004683001 - Barcode: 2-0000000-8-02049137-6
DR.O - Signatur: DR.O Sau - Belletristik