Chvojka, Erwin
Der alte Zitherspieler Menschenbilder
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html); Rezension s. Kramer, Theodor, Unser Land (bn 4/99) ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Daniela Strigl; Neues zum alten Kramer / Drei verschiedenartige Bücher Als ich Herta Müller vor einigen Jahren anläßlich einer Lesung in Mürzzuschlag kennenlernte, war ich einigermaßen überrascht, von ihr zu hören, daß Theodor Kramer zu ihren Lieblingsdichtern zähle. Die rumäniendeutsche Dissidentin, die 1987 nach Berlin ausgewandert war, und der urösterreichische Emigrant? 1997 bedurfte es dann einiger Überredung, sie in Wien für eine Kramer-Veranstaltung zu dessen 100. Geburtstag einzuspannen. Würde das nicht so aussehen, als mache sie sich wichtig, als sonne sie sich im Lichte des Kollegen? Was die 1953 im Banat geborene Autorin dann bei dieser Gelegenheit von ihrer ersten Begegnung mit Kramer erzählte, faßt sie im Nachwort zu ihrem in der Folge entstandenen Auswahlband zusammen: Um den Preis einer Straßenbahnkarte erstand sie in den siebziger Jahren in einem Bukarester Antiquariat Kramers 1929 erschienenen Erstlingsband »Die Gaunerzinke«, offenbar in einer DDR-Ausgabe. Kramers lyrischer Leierkastenton erinnerte Herta Müller an die schönsten rumänischen Volkslieder, »vertrackt melancholisch« und »vertrackt fröhlich« zugleich. Vor allem aber waren Kramers Gedichte für sie, die ins Visier der Securitate geraten war, buchstäbliche Überlebenshilfe: Sie schrieb seine Verse ab und affichierte sie als Plakate in ihrem Zimmer, sie konnte sie auswendig und suchte in ihren festgefügten Reimen Halt. Kein Wunder also, daß Herta Müller ihre Auswahl mit jenen Texten beginnt, in denen der Jude Kramer gleichsam mit zugeschnürter Kehle vom Wien des Jahres 1938 spricht, als er, der gebürtige Weinviertler, der sehnsüchtig-bodenständige Dichter der Wiener Vorstadt und des Umlandes, nolens volens der Ausreise entgegenwartet. Müller vergleicht Kramer mit Paul Celan, ihrem zweiten poetischen Fixstern, und meint, neben der »Todesfuge« müßten auch Kramers Angstgedichte in den Schulbüchern stehen. Tatsächlich findet man dort immerhin schon des öfteren das nachgerade klassische Titelstück »Die Wahrheit ist, man hat mir nichts getan« oder auch »Wer läutet draußen an der Tür?« Ebenso lesebuchtauglich wären sicherlich persönliche Gedichte aus dem englischen Exil, manche Porträts alter Leute oder die atmosphärisch flirrenden Genrebilder wie »Im alten Gasthausgarten« oder »Es geht ganz sacht auf früh«. Herta Müller hat aber just den sinnlichen Kramer für sich entdeckt oder genauer: den erotischen. Und der käme sicher nicht im Lesebuch unter. Vom innigen Liebeslied bis zum gepfefferten Bordellappell reicht das Spektrum, Kramers wahrhaft ungeschminkte und doch nicht kraftmeiernde Rede vermag immer wieder zu verblüffen. Müller sieht in dieser zupackenden Direktheit einen Grund dafür, daß Theodor Kramer trotz seiner realistischen, erdigen, ja volkstümlichen Lyrik jahrzehntelang im Eck der »Exilliteratur« abgestellt blieb. Sexuelle Genüßlichkeit vertrüge sich nicht gut mit dem Opferbild des Emigranten. »Wann ein Mann von einer Hure geht«, »Von der Onanie«, »Der Zuhälter« Kramer ist wahrhaftig kein Dichter für Teekränzchen, und er soll bei solchen den einladenden Damen mit seinen Rezitationen die Schamröte ins Gesicht getrieben haben. Bei dem Versuch, den »Dichter des plebejischen Österreich« (Ernst Fischer) abzubilden, sind auch einige Stücke hineingerutscht, die in puncto Qualität nicht mithalten können, grobe Sentenzen, derbe Sprüche: »Von den Fürzen«, »Der Sumper«, »Von der Küchenschabe«. Liest man das schaurig schöne »Lied des Wanzenvertilgers«, wird allerdings klar, daß Kramer nicht am Thema scheitert, wenn er scheitert. Kein Ding ist ihm zu gering, sein Verständnis von Welthaltigkeit kennt keine »unlyrischen« Gegenstände mehr, poetische Korrektheit liegt ihm fern. So gehören denn auch die irritierenden Selbstentblößungen im Licht einer kümmerlichen Alterserotik legitimerweise zu diesem ganzen Bild genauso wie die verstörend gelassenen Abwandlungen des Themas Kindesmißbrauch. Wider (mein) Erwarten nicht im Band enthalten sind Kramers auf rumänischem Terrain, im Banat und in der Dobrudscha, angesiedelte Gedichte von glühenden Landschaften, reichen Gutsherren und aufmuckenden Landarbeitern, suggestive Bilder, die Kramer als eine Art Karl May der Ethnolyrik ohne Anschauung der Gegend allein aus seiner Lektüre der Romane Panait Istratis entworfen hat. Kleinigkeiten wären zu bemängeln. So ist die Anordnung der Stücke nicht immer logisch, Kramers Gefährtin Grete Oplatek wird im biographischen Anhang fälsch-lich als Schriftstellerin geführt, und der »Schrank« sollte natürlich der »Schank«, der Ausschank, sein: »Wann mittags die Läden rings schließen / und die Leut in die Anlagen gehn / ists schöner, die Rast zu genießen / im winzigen Gäßchen, zu sehn, / wie ausdorrt das Kraut in der Tonne, / zu hörn, wie ein Kind von fern greint, / zu wissen im Schank, wie die Sonne / aufs bucklige Pflaster scheint.« (»Rast im Gäßchen«) Wer sich Kramers Gedichte zum ersten Mal zu Gemüte führt, den kann Herta Müllers subjektive Best of-Sammlung jedenfalls nicht kalt lassen. Seit Theodor Kramer, der 1931 seine Kriegsgedichte »Wir lagen in Wolhynien im Morast« im Zsolnay-Verlag publizierte, mit seinem Werk sozusagen heimgekehrt ist, scheint er wieder gut aufgehoben. Aber auch abseits der großen Verlagswelt tut sich etwas: Der Nachlaßverwalter Erwin Chvojka hat im gar nicht provinziellen Club Niederösterreich Kramersche »Menschenbilder« versammelt, das ganze Personal der geschundenen, übriggebliebenen, einander tröstenden und bescheiden genießenden Männer und Frauen, denen der Dichter selbstvergessen sein Organ leiht. Nicht zuletzt wegen der prägnant-spröden Schwarzweiß-Photos von Elke Forisch hat der Band ein eher ländliches Gepräge. Neben bekannten Stücken wie dem Hurenlied »Josefa«, der Arbeitslosenklage »Ein Krampenschlag vor Tag« oder dem wahrhaft umwerfenden »Vom Gabelfrühstück des Fleischhauers« finden sich etliche bisher ungedruckte Gedichte, eines schöner als das andere, besonders prächtig »Der böhmische Schmied« oder »Der Stierschneider« (1930): »Und als im Land die kahlen Maste wuchsen, / verbarg er oft sich tagelang im Moor; / es quoll das Haar ihm büschlig, wie es Luchsen / die Muscheln fiedert, rötlich aus dem Ohr./ Man will ihn noch am Moorsee bei den Tannen / gesehen haben, wie ihm durchs Gewand, / das schlotterte, die schwarzen Wasser rannen, / indes ein Lurch ihm sämte in die Hand.« Der hier den Abgrund der Existenz auftut, ist gewiß mehr als bloßer Chronist der Dreißiger. Kann man sich nach dem Lesen hunderter, ja tausender Kramer-Gedichte wirklich noch über neu ans Licht gebrachte freuen? Man kann. Wer den Blues liebt, wird auch nie satt. Lieben tut man die Gedichte, nicht unbedingt den Dichter. »Theodor Kramer hier. Sieht aus wie Schubert. Ist verrückt und bemitleidenswert, aber ein großer Dichter. Muß ihm irgendwie helfen.« Diese Notiz von Hilde Spiel aus dem Jahr 1941 findet sich in der von Erwin Chvojka und Konstantin Kaiser verfaßten »Lebenschronik«, einer ebenso knappen wie spannenden Zusammenstellung wesentlicher Lebensdaten, Briefstellen und Zeugnisse von Freunden, bereichert durch Dokumente und vor allem frühe, bisher unveröffentlichte Photos, die Kramers Ruf als Frauenheld und Schwerenöter plausibel machen. Seine heute noch so manchen verwirrende poetische und politische Position als »sozialistischer Heimatdichter« (Erich Fried) wird hier ebenso sichtbar wie sein Heimweh, seine Einsamkeit im englischen Guildford, wo er schließlich als Bibliothekar unterkam. »Wie ein Süchtiger seiner Sucht« verfiel er einem rauschhaften Schreiben, produzierte täglich ein Gedicht und litt darunter, nichts mehr korrigieren zu können. Gegen das Wagnis einer Heimkehr nach Wien wußte er mannigfache Gründe geltend zu machen, schon krank rang er sich spät doch dazu durch und erlebte noch die Enttäuschung der fremd gewordenen Heimat. Hier haben wir den zu den schönsten Hoffnungen berechtigenden Keimling einer künftigen Kramer-Biographie: Ein österreichischer Dichter nimmt langsam wieder Gestalt an. »Vielleicht habe ich es leicht, weil schwer, gehabt«, schrieb Kramer an Hilde Spiel. »Auf dem Land geboren, aber Sohn des jüdischen Arztes. Dann lebte ich in der Stadt. Ich gehörte nie ganz dazu und nicht nur sah ich deshalb besser, sogar meine Empfindungen, ja meine Triebe waren heftiger. Und unbedingte Ehrlichkeit wurde mir gepredigt.«


Rezension


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Personen: Chvojka, Erwin Kramer, Theodor

Chvojka, Erwin:
¬Der¬ alte Zitherspieler : Menschenbilder / Theodor Kramer. Hrsg. von Erwin Chvojka. - St. Pölten ; Wien : Niederösterr. Pressehaus, 1999. - 159 S. : Ill.
ISBN 978-3-85326-117-0

Zugangsnummer: 357
Lyrik - Signatur: DL Kra - Buch