Anonymus,
Wohin mit Vater? Ein Sohn verzweifelt am Pflegesystem
Buch

Zwischen Heimunterbringung und Illegalität.


Rezension

Dieser Tag wird kommen. Für beinahe jede und jeden. Der Tag, an dem die alten Eltern nicht mehr können, krank werden, Pflegefälle sind. Alle Töchter und Söhne wissen, dass es irgendwann so weit sein wird, aber kaum jemand bereitet sich darauf vor. Und mit dem Tag X kommen Hilflosigkeit, Ohnmacht, Selbstvorwürfe: Was tun mit dem Vater, was tun mit der Mutter? Ein Pflegeheim will man den Eltern ersparen, häusliche Pflege ist unbezahlbar - aber den Beruf und das eigene Leben aufgeben, um die Pflege selbst zu übernehmen? - In eindrucksvoller Offenheit erzählt der Autor das Drama seiner Familie, beschreibt, in welch verzweifelte Lage Angehörige und die auf Hilfe angewiesene Person kommen können, wenn plötzlich die Pflegeperson ausfällt und für solche Situationen keine Vorsorge getroffen wurde. Die Mutter des Autors, selbst über 80 Jahre alt, hat jahrelang ihren inzwischen 86 Jahre alten, körperbehinderten Mann gepflegt. Unterstützung hat sie durch einen ambulanten Dienst bekommen. Plötzlich stirbt die Mutter an einem Herzinfarkt. Sohn und Tochter müssen nicht nur die Beerdigung organisieren; sie stehen vor allem vor der schier unbeantwortbaren Frage, was mit dem Vater geschehen soll, der nicht mehr alleine sein kann. Die Besichtigung zweier "Heime" bringt sie zu der entsetzten Erkenntnis, dass sie ihren Vater dieser Art Pflege"heim" nicht ausliefern können und wollen, die ambulante Pflege ist nicht bezahlbar . Anonymus berichtet, mit welchen grundlegenden Fragen er sich plötzlich konfrontiert sah. Er schildert packend die Gewissenskonflikte und auch die bürokratischen Schwierigkeiten seiner Situation. Und er schlägt Alarm angesichts der Untätigkeit, mit der Gesellschaft und Politik vor einer der großen sozialen Fragen unserer Zeit stehen. "Wohin mit Vater?" ist die ergreifende Geschichte einer Familie, die plötzlich mit einem Pflegefall konfrontiert ist und nicht weiter weiß. Ein Fall wie viele in Deutschland. Ein Fall, der in einer alternden Gesellschaft immer alltäglicher wird. "Die Ausnahme Pflegefall wird zur Regel", heißt es in dem Buch. Die Konsequenz ist eine fatale Ungewissheit: "Wie sollen die Alten leben, wenn sie krank, gebrechlich, behindert werden?" Wer pflegt sie, wenn die Jungen eine eigene Familie gegründet haben oder weit entfernt vom Wohnort ihrer Eltern wohnen? Das "sind Fragen, die an die Existenz gehen ... Fragen, die sich mit jedem Jahr mehr Menschen stellen müssen. Sie gehen alle an. Und fast alle sind nicht vorbereitet, wissen keine Antwort darauf. Was tun, wenn die Eltern Pflegefälle werden - das ist die neue soziale Frage." Der Autor, ein Journalist, weiß, dass die letztendlich gefundene Lösung zwar die für seine Situation beste oder gar einzig mögliche, aber nicht legal ist. Deshalb hat er es vorgezogen, seinen Namen nicht zu nennen. Letzten Endes blieb für ihn nur eine Telefonnummer. Landesvorwahl 0048, Polen. Ein Vermittlungsnetzwerk für Pflegekräfte, die zur häuslichen Pflege nach Deutschland kommen, weil sie in ihrem Heimatland keine Perspektive mehr sehen. Für Anonymus und seine Schwester, nicht zuletzt auch für ihren Vater, war es ein Glücksfall. Denn es kam Teresa, eine Krankenschwester, die neben ihrer professionellen Pflegeausbildung etwas mitbrachte, woran es den deutschen Einrichtungen, die Sohn und Tochter besichtigt hatten, mangelte: menschliche Zuwendung. Es ist rührend zu lesen, wie die resolute Polin nicht nur das Pflegeproblem löste, sondern auch dem Vater seinen Lebensmut zurückgab.

Wohin mit Vater? Ein Buch, so spannend, aufwühlend, berührend wie erschreckend, weil der Autor schonungslos in die eigene Gefühlswelt, Gesellschaft und den Pflegealltag leuchtet. Ein Buch, das zum Nachdenken und Diskurs einlädt und das alle lesen sollten! Sehr empfehlenswert für alle Büchereien!

Rezensent: Christine Stockstrom


Personen: Anonymus,

Schlagwörter: Alter Pflege

Anonymus,:
Wohin mit Vater? : Ein Sohn verzweifelt am Pflegesystem / Anonymus. - 2. Aufl. - Frankfurt am Main : Fischer, 2007. - 190 S. ; 21 cm
ISBN 978-3-10-061706-4 geb. : EUR 16.90

Zugangsnummer: 0002/1925
Lebenssituationen und Lebensfragen - Buch